Spät nachts. Mein Telefon läutet und die Handynummer meiner Schwester leuchtet auf meinem Display. In dem Moment wird mir klar was das bedeutet. Sie ruft nie um diese Uhrzeit an. Ich hebe ab und erfahre, dass meine Mutter vor einer halben Stunde verstorben ist. Sie war alt, sehr krank und hatte einen langen Leidensweg hinter sich. Ich könnte jetzt sagen, ja endlich ist ihr Leiden vorüber. Aber es spürt sich zu früh an. Sie ist weggegangen und tiefe Trauer macht sich in mir breit. Tränen laufen über mein Gesicht. Der Wunsch noch ein kurzes Gespräch mit meiner Mutter zu führen kommt über mich. Ich weiß, es wird, zumindest in gewohnter irdischer Form, nicht mehr stattfinden. Ich bin dankbar gemeinsam mit meiner Schwester wenige Stunden zuvor noch bei ihr gewesen zu sein. Unheimlich dankbar.
Wir Menschen sind oft so hilflos im Umgang mit dem Tod. Unsere Gesellschaft hat den Umgang mit dem Tod verlernt, dabei ist es so wichtig den Sterbeprozess seiner Lieben zu begleiten. Wichtig für den Sterbenden, aber auch für uns, die Hinterbliebenen. Sich der Trauer aktiv zu stellen ist heilsam und gibt uns die Möglichkeit, mit dieser schwierigen Situation gut umzugehen und sie dann irgendwann nach der wichtigen Trauerphase, gut abschließen zu können.
Ich ziehe mich an und fahre ins Krankenhaus. Ich gehe ins Krankenhauszimmer, zu einem letzten Besuch. Friede und Ruhe liegen in der Luft. Ich finde sie sieht so friedlich und zufrieden aus. Ich könnte auch sagen, meine Mutter hat endlich Frieden gefunden. Kerzen und Engeln wurden von den Schwestern aufgestellt. Schön frisiert und zur Ruhe gekommen liegt sie jetzt im Bett. Ich sitze neben ihr. Ich rede mit ihr. Bedanke mich für ihr Sein. Ich umarme sie. Küsse sie und hab gar nicht das Gefühl, dass sie uns für immer verlassen hat. Sie liegt da, als ob sie ganz ruhig schlafen würde. Ich bin leise. Will sie ja nicht wecken und in dem Moment wird mir klar, dass mir das auch nicht mehr möglich sein wird. Tränen laufen herunter, sehr viele Tränen. Ich bin tief traurig, so wie ich es lange nicht mehr war. Nach meinem Vater, meinen Großeltern und meinem Bruder hat mich nun auch meine Mama in dieser Welt verlassen. Ein natürlicher Prozess. Einen, den ich in den letzten Wochen sehr bewusst und klar miterleben durfte. Ich bin unheimlich dankbar dafür. Generell dankbar für die letzten Monate meiner Begleitung, soweit mir das möglich war.
Das Gefühl kommt auf, immer mehr die eigenen Wurzeln und etwas Halt zu verlieren. Ich weine und sitze neben meiner Mama. Ich genieße die Stille, die ich zum Abschluss gemeinsam mit ihr erleben darf. Ich bin so froh, gerade nicht beruflich irgendwo weiter weg zu sein. Ich konnte sofort zu ihr ins Krankenhaus, um die Zeit auch nach ihrem Fortgehen noch mit ihr zu verbringen. Umarmungen, Tränen, Streicheln und da sein. Ein alter sterbender und dann gestorbener Mensch hat nichts abschreckendes an sich. Ganz im Gegenteil, ich war meiner Mama gerade in diesem Moment sehr, sehr nahe.
Ihr Ehemann, meine Schwester und Mamas Schwägerin kommen ins Zimmer. Tränen, Trauer und viele Emotionen brechen durch. Die Nachtschwester kümmert sich rührend um uns Trauernden. Aber auch mein Schmerz als Sohn ist groß, sehr groß. Ich nehme mir zum Schluss noch einige Minuten alleine mit meiner Mama. Ich drücke sie ein letztes Mal. Ich halte ihre Hände ein letztes Mal. Ich streichle sie ein letztes Mal. Ich küsse sie ein letztes Mal. Ich mag nicht gehen, Mama wirkt noch so als wäre sie da. War sie wohl auch noch. Ich bin ihr dankbar für alles was sie mir geschenkt hat, vor allem für mein Leben. Ich liebe meine Mutter über ihren Tod hinaus und bin unendlich dankbar, sie wenige Stunden zuvor noch besucht zu haben.
Liebe Mama, ich wünsch dir eine gute Reise, eine in der vieles leichter sein soll. Eine Reise, die ganz nach deinen Vorstellungen verlaufen darf. Jetzt wird alles leicht sein und ich hoffe für mich, den Glauben und die Gewissheit zu finden, dass wir einander irgendwann und irgendwo wieder sehen.
Mach’s gut und baba!
PuraVida, dein Sohn Andi